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Ex Tribus Unum

11. Bundeslager der BPS

Ein kühler, aber sonniger Sommertag im Jahr 1229: Auf vielen Straßen und Pfaden im Königreich Jerusalem sind kleine Grüppchen von schwer bepackten Bürgerinnen und Bürgern zu sehen, die heimwärts in ihre Stadt wandern. Erfolglos, aber trotzdem guten Mutes haben sie nach dem Heiligen Gral gesucht, um ihn als krönende Reliquie in ihre neue Kathedrale zu bringen. Nun möchten sie ihre müden Füße hochlegen. Doch schon an den Stadttoren erwartet die Jerusalemer eine unheilvolle Überraschung: Statt der farbenfrohen Banner der drei Ritterorden, denen sie angehören, wehen graue Flaggen im Wind. Zwielichtige Gestalten patrouillieren durch die Stadt und stiften Unfrieden, in den Gassen herrscht eine gedrückte Stimmung. Was in aller Welt ist hier geschehen?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man einige Tage in der Zeit zurückreisen – denn bei den erschöpften Wandersleuten handelt es sich in Wirklichkeit um Pfadis der Baptistischen Pfadfinderschaft (BPS). Für ihr Bundeslager im fränkischen Reinwarzhofen sind rund 830 BPSler Ende Juli 2023 tief in die Welt der Kreuzritter eingetaucht. Auch einige Gäste vom Danske Baptisten Spejderkorps aus Dänemark und vom tschechischen Pfadfinderverband Junák sind mit dabei. Rund neun Tage leben die Pfadis als Ritter des Templer-, Johanniter- und Konstantinerordens gemeinsam in der Stadt, die ihr Kaiser erst kürzlich nach friedlichen Verhandlungen mit Sultan al Kamil eingenommen hat.

 

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Vor seiner Abreise, das haben die Lagerteilnehmenden selbst miterleben können, hat Friedrich den sogenannten Hohen Rat als seine Vertretung eingesetzt – je einen Konstabler aus jedem Orden gemeinsam mit den Ordensleitungen, den Großmeistern. Unter der gemeinschaftlichen Verwaltung ist die Stadt zunächst aufgeblüht. Auf Wunsch des Kaisers soll zum Dank für die friedliche Einnahme der Stadt eine gewaltige Kathedrale errichtet werden. Dafür sammeln die Pfadi-Ritter in einem ausladenden Handelsspiel beispielsweise Rohstoffe und Verpflegung für die Bauleute, aber auch Kostbarkeiten wie Weihrauch oder Buntglasfenster. Einfach machen es ihnen die Händlerinnen und Händler im Wald und in den Feldern rund um den Lagerplatz nicht: Geschicklichkeit, Pfadiwissen und Teamgeist sind gefragt, etwa bei einer Kissenschlacht auf einem Holzbalken, beim Bogenschießen, Spurenlesen, beim "Erriechen" von Kräutern – oder gar beim Zitronenessen. Die Gruppen sind so erfolgreich, dass der Bau der Kathedrale rasant voranschreiten kann. Und das übrigens auch ganz real: Alle Baulustigen sind eingeladen, im Zeltlager an einer Kathedrale im traditionellen Holzstangenbau mitzuwerkeln.

Krönenden Glanz soll der Kathedrale, das beschließt der Hohe Rat, keine geringere Reliquie als der Heilige Gral geben. Bevor sich die Sippen im Rahmen eines Hajks auf die Suche danach machen, können sie es sich beim Markttag noch einmal richtig gutgehen lassen: Ob mittelalterliches Pfannenbrot, Waffeln, Flammkuchen, Popcorn – wer ausreichend Platz im Magen hat, kann an den Marktständen nach Herzenslust tafeln. Gleichzeitig bieten verschiedene Workshops die Gelegenheit, sich für die anstehende Wanderung zu wappnen oder sich gemeinsam die Zeit bis zum Aufbruch zu vertreiben. Zur Workshop-Auswahl stehen neben Ritterthemen wie Schwertkampf oder Schmieden beispielsweise auch eine Flachwitzchallenge, das Flechten von Freundschaftsbändern, Siebdruck oder Tauziehen.

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Foto: Leonie Dietrich

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Am nächsten Tag begleiten Regen und Sturm die Suche nach dem Heiligen Gral. Zum Glück finden fast alle Sippen ein trockenes Fleckchen zum Schlafen, und viele lernen die großzügige Gastfreundschaft der Region kennen – dürfen etwa in Gemeindehäusern und Scheunen übernachten oder werden sogar bekocht. Einige Gruppen wandern enorme Strecken und sammeln bei weit entfernten Stationen Hunderte Punkte. Nur der Gral bleibt verborgen. Und bei der Heimkehr der Sippen erkennen die Pfadis „ihr“ Jerusalem dank des unheilvollen Einflusses der grauen Gestalten kaum wieder. Was also ist hier geschehen?

In einem nächtlichen Scharmützel, in dem niemand genau weiß, wer Freund und wer Feind ist, gelingt es den Pfadi-Rittern, die Antwort auf diese Frage zu finden: Eine geheime Botschaft enthüllt, wie die drei Konstabler mit dem bösartigen Nebelorden eine Verschwörung gegen den Kaiser und die Großmeister angezettelt haben. Nun wollen sie die Macht über Jerusalem an sich reißen. Um ihr Tun zu verschleiern, haben sie Zwietracht zwischen den Orden gesät. Es ist an der Zeit, die Losung des BuLas – Ex tribus unum, aus dreien eins – mit Leben zu füllen. Die drei Orden verbünden sich miteinander und besiegen in einer mit Leidenschaft und klatschnassen Schwämmen ausgefochtenen Schlacht den Nebelorden.

Foto: Marten Becker

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Dieser Sieg muss natürlich gebührend gefeiert werden, und zwar im Rahmen eines traditionellen Bunten Abends. Dabei werden auch die Siegerinnen und Sieger der unterschiedlichen Spielphasen – etwa des Hajks – geehrt, genau wie die zahlreichen Mitarbeitenden, ohne die das BuLa gar nicht hätte stattfinden können. Auch Programmpunkte „neben“ oder außerhalb der Lagerstory rücken noch einmal ins Rampenlicht: So hat beispielsweise eine Lagerzeitung, in der auch Jupfi- und Pfadireporter Berichte verfassen konnten, täglich das BuLa-Geschehen kommentiert. Bei einem Hindernislauf konnten Sippen Spenden für den Verein United for Rescue sammeln, der sich die Rettung von Menschen in Seenot zur Aufgabe gemacht hat. Und im Trainingscenter „Bronx“ hatten Pfadis die Gelegenheit, während des Lagers das Sonderabzeichen „Bronzelilie“ zu absolvieren.

Nach der traditionellen Abschiedsrunde am nächsten Vormittag verschwindet das mittelalterliche Jerusalem wieder. In wenigen Stunden sieht man auf dem Platz in Reinwarzhofen keine weitläufige Zeltstadt mehr, sondern nur noch von Kohten und Jurten plattgedrücktes Gras. Die zeitweiligen Einwohnerinnen Jerusalems werden ihre turbulente Zeit in der bunten Stadt aber sicher so schnell nicht vergessen.

Ein Artikel von Kristina Rose