Foto: Bergwiesel

Sonne, Schweiß und schöne Aussicht

Fahrtengruppe Bergwiesel unterwegs in der Serra de Tramuntana

Es ist Sonntagabend, die Luft ist schwülwarm und wir – sechs Pfadis aus verschiedenen Stämmen der Region Mitte – sind gespannt und auch ein wenig aufgeregt: Mallorca als Fahrtenziel – kann das funktionieren? Oder werden wir uns nach ein paar Tagen auf dieser Insel des Massentourismus ärgern, nicht einen anderen Ort für unsere September-Fahrt gewählt zu haben?

An diesem ersten Tag macht es uns die Insel nicht leicht. Es ist schon spät, als wir landen, und die Pfadfinderstämme in Palma, die wir vorher auf der Suche nach einer Unterkunft für die erste Nacht angeschrieben hatten, haben allesamt nicht reagiert. Auch unser Plan B, den Flughafen zu Fuß zu verlassen und irgendwo auf dem Weg nach Palma einen Übernachtungsplatz zu finden, schlägt fehl: Irgendwann stranden wir zwischen Parkplätzen und Straßen und machen uns genervt auf den Weg zurück zum Busbahnhof des Flughafens. Bei der Suche nach dem richtigen Bus versucht uns eine deutsche Touristin zu helfen: „An welchem Ballermann seid ihr denn?“. Sehen wir, in Kluft und mit unseren schweren Rucksäcken bepackt, etwas so aus, als seien wir unterwegs zum Ballermann? Wir nehmen den Bus nach Palma und nisten uns zunächst im Park am Plaça d’Espanya ein, der allerdings um kurz nach Mitternacht schließt. Auf einer anderen Grünfläche ein paar Straßen  weiter haben wir gerade unsere Isomatten ausgebreitet, als die Rasensprenger angehen. Wir fühlen uns ziemlich obdachlos und lassen uns schließlich reichlich müde gegen 2 Uhr unter dem Vordach einer Ladenzeile nieder, wo wir die nächsten vier Stunden relativ ungestört verbringen.

Auf in die Berge!

Als der erste Bus uns schließlich hinauf nach Sóller in der Serra de Tramuntana bringt, sind wir froh, die Stadt hinter uns zu lassen. Nachdem wir uns mit Haferschleim gestärkt haben, geht es endlich in ein pfadfinderfreundlicheres Gebiet: Ein steiniger Pfad schlängelt sich in Serpentinen den Berghang hinauf, vorbei an Steineichen, knorrigen Oliven- und Johannesbrotbäumen. Wir sind froh, hier unterwegs zu sein, auch wenn die Sonne vom Himmel brennt und wir alle schon nach einigen Metern schweißgebadet sind. Nur langsam kommen wir voran und machen viele Pausen. Bei diesen Temperaturen, mit dem Rucksack voller Vorräte und mit den aufgrund der unklaren Wassersituation in den Bergen prall gefüllten Wassersäcken kommen wir alle an unsere Grenzen. Am Ende unserer Kräfte erreichen wir schließlich den Pass und sind froh, dass es danach gemächlich abwärts geht und wir schon bald die Schutzhütte am Stausee Cúber vor uns sehen. Die ist zwar abgeschlossen, hat aber einen Tisch mit Bänken, ein Dixi-Klo und ein großes Vordach, unter dem wir unsere Schlafsäcke ausbreiten. Gerade, als wir uns zum Essen versammeln – Gnocchi à la ChristianElli – bekommen wir außerdem noch Gesellschaft: Matthias, ein Wanderer aus Hamburg, der alleine unterwegs ist, schließt sich uns für die Nacht an. Nach dem Essen weihen wir unsere Fahrtengitarre ein, bevor wir uns in der Einsamkeit der Berge unter einem wunderbar sternenreichen Himmel schlafen legen – auch so kann Mallorca sein.

Jeden Morgen auf unserer Fahrt legen wir nach dem Frühstück eine Lobpreisrunde ein und machen uns Gedanken zur Tageslosung. Da Matthias passender Weise auch Christ ist, ist er an diesem Morgen dabei. Dann aber trennen sich unsere Wege: Während er die Hauptroute, den Fernwanderweg GR 221, wählt, neben wir eine Nebenroute durch die Schlucht Torrent d‘Almedrà, die uns durch mehrere Tunnel führt und deutlich mehr Schatten spendet. An der bewirtschafteten Hütte Refugi de Tossals Verds legen wir unsere Mittagspause ein und quälen uns einen weiteren Pass hinauf, diesmal aber schon deutlich schneller. Wir sind eindeutig eingelaufen :-). Die Nacht verbringen wir an der Quelle Font des Prat, die uns mit köstlichem Quellwasser versorgt. Pünktlich zum Abendessen taucht auch Matthias wieder auf und wir beschließen, am nächsten Tag gemeinsam weiterzuwandern.

Langsam aber stetig, zunächst durch Steineichenwald, später durch eher alpines Gelände windet sich der Pfad zum Coll des Prat hinauf, einem Pass am Massanella, mit 1364 m zweithöchster Berg der Insel. Die Aussicht wird von Meter zu Meter genialer. Am Pass weht ein kräftiger Wind und hinter der Trockenmauer dort haben schon einige andere Wanderer Schutz gesucht. Spontan bilden sich zwei buntgemischte Gruppen für eine Gipfelbesteigung: Während einige von uns den direkten und fast senkrechten Weg hinauf zum Gipfel klettern, wählt eine kleinere Gruppe den etwas weniger steilen, aber trotzdem nicht einfachen Weg hinauf. Oben treffen wir wieder zusammen und genießen die gigantische Aussicht: Von hier aus kann man die gesamte Insel und das sie umgebende Meer überblicken. Zurück am Pass legen wir unsere wohlverdiente Mittagspause ein und steigen dann zum Kloster Lluc ab, wo wir uns eine Übernachtung auf dem Zeltplatz gönnen. Zum Abschied lädt Matthias uns zum Pizza essen ein – da sagen wir natürlich nicht nein!

Durch die Schlucht hinab zum Meer

Am Morgen erfreuen wir uns an den Duschen. Die sind zwar kalt, aber das stört bei der meist herrschenden Hitze kaum. Mehr oder weniger erfolgreich trampen und/oder laufen wir der MA-10 folgendend zum Restaurant Escorca, um dort ins nächste Abenteuer zu starten: Die Bezwingung der Torrent de Pareis, einer  zu dieser Jahreszeit trockenen Schlucht, die an der Cala de sa Calobra ins Meer mündet. Schon vom oberen Rand aus sind die Ausmaße der Schlucht beeindruckend. Durch dichtes Dissgras steigen wir hinab und stärken uns unter ständiger Beobachtung dreier Ziegen, bevor wir den Abstieg durch Fels und Geröll in Angriff nehmen. Abgesehen von ein paar kurzen kiesigen und relativ ebenen Streckenabschnitten kommen wir nur kraxelnd voran, als wir immer weiter in die Schlucht vordringen. Ein ums andere Mal müssen wir die Rucksäcke absetzen und steile Felsblöcke hinabreichen, um dann selbst kletternd oder auf dem Hintern rutschend zu folgen. Mal müssen wir abwärts springend, mal uns durch enge Löcher zwängen und ohne die gegenseitige Hilfe – eine ziehende Hand, eine Schulter als Fußtritt, ein Anschieben von hinten – wäre diese Etappe für uns nicht zu schaffen. Die Schlucht will nicht enden und mit jedem Meter nehmen die anfängliche Begeisterung, unsere Kräfte und unsere Konzentrationsfähigkeit ab. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichen wir schließlich das Schluchtenende und legen uns nach dem wohlverdienten Abendessen direkt schlafen.

Als die Sonne hinter uns langsam aufgeht, treibt es uns aber schnell wieder aus den Schlafsäcken. Wir wollen die Gelegenheit nutzen, die kiesige Bucht Cala de sa Calobra ganz für uns zu haben und stützen uns ins angenehm warme und unglaublich blaue Wasser. Nach einem Quallenangriff auf einige von uns beschränken wir uns darauf, vorne in den Wellen herumzudümpeln, eine sehr angenehme Beschäftigung nach den letzten Fahrtentagen. Als wir nach Frühstück, Andacht und Packen unseren etwas versteckten Schlafplatz in der Schlucht verlassen, staunen wir nicht schlecht: Die vorher menschenleere Bucht ist voller Touristen – für uns ein Anreiz, den Ort schnellstmöglich zu verlassen. Wieder geht es hinauf in die Berge, dann wieder abwärts zur Cala Tuent, von wo aus wir einen einsamen Küstenpfad gen Südwesten nehmen und dabei die Sicht auf das strahlendblaue Wasser vor dem frischen Grün der Aleppokiefern genießen.

Da es uns bisher nicht wie erhofft gelungen ist, unsere Vorräte aufzufüllen, wird die Tagesetappe viel länger als geplant und endet schließlich bei Sonnenuntergang auf einem Aussichtspunkt in den Bergen. Nach einer kurzen Krisenberatung trampen wir schließlich hinunter nach Port de Sóller, wo zwei von uns direkt am Refugi de Muleta neben dem Leuchtturm abgesetzt werden und dort einen Schlafplatz auf der Terrasse organisieren. Wir anderen kaufen im Ort ein und kämpfen uns dann die letzten drei Kilometer hinauf zum Refugi. Wieder einmal sind wir an unsere Grenzen gegangen, wieder einmal sind wir als Gruppe fester zusammengewachsen.

Nach den beiden harten Etappen haben wir uns am nächsten Tag etwas Ruhe verdient und so brechen wir erst nach dem Mittagessen in eher gemächlichem Tempo auf und folgen einem schmalen Küstenpfad, schließlich wollen wir unseren letzten richtigen Fahrtentag genießen. Unten tost die Brandung, während wir hoch über dem Wasser auf weichem Kiefernwaldboden unsere Plane aufspannen (für die Nacht ist Regen angesagt) und uns zur Feier des Tages köstliches Chili con Carne zubereiten. Mit dem Rauschen des Meeres als Hintergrund lassen wir den Abend mit einer ausgiebigen Singerunde ausklingen und blicken schon etwas wehmütig dem Ende der Fahrt entgegen.

Abschied von der Insel

Auch der nächste Tag beginnt eher ruhig, aber dafür mit selbstgebackenen Keksen, denn wir feiern Nicolas‘ Geburtstag. Wir steigen hinauf zur Bushaltestelle des winzigen Örtchens Llucalcari, warten dort zwei Stunden zumeist singend und werden dann vom Bus zurück nach Palma gebracht. Dort verbringen wir einige Stunden im uns bestens bekannten Park am Plaça d’Espanya – eindutig Berwiesel-Revier – und gehen dann gemeinsam in der Stadt essen. Ein Eis zur Feier des Tages darf nicht fehlen und dann fahren wir auch schon zum Flughafen, wo wir die paar Stunden bis zum Abflug am nächsten Morgen erstaunlich gut schlafend verbringen. Mit dem Flug zurück nach Frankfurt verlassen wir die Insel, die sich in den vergangenen Tagen trotz aller Vorurteile doch als schönes Fahrtenziel entpuppt hat. Wer die Orte verlässt und sich auf Berg- und Küstenpfade begibt, der findet auch hier Einsamkeit, schöne Schlafplätze und vor allem wunderschöne Landschaft und atemberaubende Aussichten. Wir sind dankbar für das Erlebte, für die Bewahrung, die netten Begegnungen, die gemeinsam durchstandenen Abenteuer und die enge Gemeinschaft der Fahrt. Wehmütig trennen sich die Wege der sechs Bergwiesel – aber die nächste Fahrt kommt bestimmt.

Ein Artikel von Bergwiesel