Foto: Nicolas Kerber

Regen, Flüsse, rote Felsen

Eine Fahrt durch den lettischen Gauja-Nationalpark

Die Sonne scheint warm vom Himmel, als wir an diesem Samstag Mitte September den ruckeligen Zug gen Nordosten besteigen, der uns langsam, aber stetig durch lichte Kiefernwälder hindurch an den Startpunkt unserer Fahrt bringen wird. Wir, das sind sieben Rover und Altpfadfinder aus vier BPS-Stämmen der Regionen Mitte und Nord. Hinter uns liegen der Flug nach Riga, eine Begegnung mit einer recht unfreundlichen lettischen Tankwärtin und die etwas wirre Suche nach dem Bahnhof. Vor uns liegen sieben Tage Fahrt durch den Gauja-Nationalpark – und wie vor jeder Fahrt die Ungewissheit, welche Abenteuer, Schwierigkeiten und schönen Momente uns diesmal erwarten.

Sigulda liegt schon bald hinter uns, genau wie die Ruinen der alten Festung, und wir machen uns auf den Weg auf die Westseite der Gauja, wo wir nach einer kurzen Pause am Schloss auf eine Gruppe von lettischen Pfadfindern der Adventisten treffen, die uns prompt den frei zugänglichen Zeltplatz unten am Ufer zum Übernachten empfehlen. Der Weg dorthin führt an zwei eher unspektakulären Sandsteinhöhlen vorbei, beschert uns aber immerhin frisches Quellwasser für unsere Trinkflaschen und Wassersäcke. Direkt an der Gauja verbringen wir am Lagerfeuer unseren ersten Fahrtenabend und treffen auf Carolin, die mit dem Fahrrad von Deutschland bis St. Petersburg gefahren ist und gerade auf dem Rückweg ist. Gemeinsam sitzen wir zusammen und singen Fahrtenlieder, während sich neben uns die Gauja träge gen Meer schiebt.

Der Weg führt uns an den nächsten Tagen flussaufwärts, meist durch mal mehr, mal weniger dichte Kiefer- oder Mischwälder, deren Boden mit (leider nicht mehr mit Früchten bewachsenen) Blaubeersträuchern und jeder Menge Moos bewachsen ist. Die Gauja bleibt uns mit ihrer rötlichbraunen Farbe treu, genau wie die immer wieder auftauchenden Sandsteinklippen am Ufer, die dafür sorgen, dass der Weg sich durchaus auch mal bergauf oder bergab schlängelt, auch wenn natürlich keine „echten“ Berge überwunden werden müssen. Ernsthaft Gedanken machen wir uns des Öfteren über die Trinkwasserqualität, ähnelt das Trinkwasser doch häufig von der Farbe her den nicht eben sauberen Fluten der Gauja und stammt manchmal aus eher dubiosen Quellen (Duschschläuche an Hauswänden zum Beispiel :-), doch bis zum Ende der Fahrt scheint niemand davon Schaden zu nehmen.

Foto: Nicolas Kerber

Foto: Rike Danneberg

Foto: Rike Danneberg

Das Wetter an diesen ersten Fahrtentagen ist angenehm, teilweise sogar sonnig, und der Regen zieht meist erst gegen Abend auf, was leider so manchen Lagerfeuerabend ins Wasser fallen lässt. Unser Wandertempo ist eher gemächlich, auch wegen unerwünschter Herausforderungen in Form von sich lösenden Schuhsohlen, die mit Reepschnur notdürftig gesichert werden müssen. Um nicht nur an der Gauja entlangzuwandern, biegen wir irgendwann in das wildere und engere Tal der Amata ein, wo wir auf schmalen Pfaden durch dichtes Gesträuch stapfen und oft nicht viel mehr sehen als das Blattwerk um uns und den Rücken unseres Vordermanns. Doch auch die Amata-Schlucht hält einige rote Felsen samt schönen Ausblicken parat und erfreut uns bei einer Mittagspause außerdem durch eine zum Hüpfen bestens geeignete Hängebrücke.

Bei Karli verlassen wir das Amata-Tal und wandern auf direktem Wege nach Cesis, wo wir unsere Vorräte aufstocken und Reserveschuhe erwerben können. Gut, dass wir mittlerweile gelernt haben, wie man Letten zum Lächeln bringt: Mit den paar Brocken Lettisch, die uns unser Lettisch-Experte beigebracht hat. In Cesis begegnen wir leider auch einem heftigen Platzregen, der uns teilweise komplett durchnässt und uns dazu bewegt, eine Nacht unter dem Unterstand des ansonsten fast völlig leeren Campingplatzes zu verbringen, wo wir vergeblich versuchen, dreckige Sachen zu waschen und anschließend zu trocken – bei der herrschenden Luftfeuchtigkeit ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Aussichten für die nächsten Tage sind eher wechselhaft, doch wir beschließen, uns davon nicht schrecken zu lassen, die Tagesetappen zu verlängern und auf jeden Fall unser ursprünglich angepeiltes Ziel in Valmiera anzulaufen. Tatsächlich bleibt es relativ trocken, aber die Temperaturen haben sich deutlich abgekühlt und ein scharfer Wind weht über die Felder und Wiesen, die wir zwischenzeitlich durchwandern. Die Gauja bekommen wir auf diesem Streckenabschnitt nur noch selten zu Gesicht, stattdessen geht es meist auf breiten Wegen durch die weiten lettischen Wälder und erst am Abend, als wir die „größten weißen Sandsteinklippen Lettlands“ erreichen, die tatsächlich gar nicht soo besonders groß sind, kehren wir ans Flussufer zurück.

Foto: Christian Schelhas

Foto: Christian Schelhas

Immer weiter geht es nach Nordosten und als wir uns Valmiera nähern, weicht der Wald freien Feldern. Darauf scheint der Regen nur gewartet zu haben – eindeutig ein schlechtes Timing. Zum Glück finden wir für unsere Mittagspause einen Unterstand und werden nicht so nass wie noch zwei Tage zuvor. Nachdem wir noch einmal Kraft getankt haben, legen wir den Endspurt ein und erreichen schließlich den Bahnhof von Valmiera, wo wir uns die Wartezeit mit schlafen, Skat spielen und in der Sonne lesen vertreiben. Der Bummelzug bringt uns ganz gemächlich zurück nach Riga, wo wir die letzten beiden Nächte in der Baptistengemeinde übernachten dürfen. Ilze, eine ältere Dame, die auch etwas Deutsch spricht, heißt und herzlich willkommen und zeigt uns unseren Schlafraum: Ein Raum des gemeindeeigenen Kindergartens – da fühlen wir uns natürlich gleich wohl :-). In dem Raum gibt es sogar ein Klavier, so dass wir zur Abwechslung unsere Fahrtenlieder diesmal nicht mit Gitarren-, sondern mit Klavierbegleitung singen.

Den letzten vollen Tag unserer Fahrt verbringen wir damit, die Stadt zu erkunden. Gleich nach dem Frühstück geht es los durch die an diesem Morgen noch recht leeren Straßen Rigas. Faszinierend sind die teilweise sehr aufwändig gestalteten Fassaden vieler Häuser, manchmal in neu renovierter Pracht erstrahlend, manchmal kaum erkennbar im Grau, dass sich über Jahrzehnte auf manchen Hauswänden abgesetzt hat. Auch die russisch-orthodoxe Basilika mit ihrer riesigen goldenen Kuppel ist sehr beeindruckend. Nachdem wir so auf eigene Faust schon ein bisschen die Stadt erkundet haben, schließen wir uns einer Stadtführung an, um auch noch etwas Hintergrundwissen zu erhalten. Anschließen geht es ins KGB-Museum und danach für die, die immer noch nicht genug haben, in eines der Kunstmuseen Rigas, während die anderen sich dem Skatspiel widmen.

Foto: Nicolas Kerber

Foto: Nicolas Kerber

Foto: Christian Schelhas

Am Sonntag, unserem Abreisetag, besuchen wir den Gottesdienst in unserer Gastgebergemeinde, auch wenn wir außer den Worten „ludzu“ (bitte) und „paldies“ (danke) kaum etwas verstehen. Doch die Menschen, denen wir begegnen, sind alle sehr herzlich und versuchen, sich mit den vorhandenen Sprachbrocken mit uns zu unterhalten. Zum Abschluss lädt uns Ilze noch zu Kaffee, Tee und Gebäck ein, bevor wir uns auf den Weg gen Heimat machen. Im Gepäck haben wir lettisches Kümmelbrot, die ein oder andere Blase, sehr viele Fotos, jede Menge Erinnerungen an die vergangenen Tage und eine Erkenntnis, die uns bei unserer anfänglichen Begegnung mit der Tankwärtin noch sehr fern war: Es gibt sehr viele nette Letten, die man unbedingt besuchen sollte J

Ein Artikel von Rike Danneberg