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Foto: FK Dechert

Regionslager Mitte 2009

Endlos lang zieht sich der Weg durch das enge Tal und schwer lasten die Rucksäcke auf unseren Schultern, als sich endlich die Mauern Camelots vor uns erheben. Noch einige wenige Meter über die Zugbrücke, dann haben wir unser Ziel erreicht und stehen vor dem, der uns alle an diesem Ort zusammengerufen hat: König Artus in voller Rüstung, begleitet von seinem Getreuen Sir Lancelot. Wie schon die anderen Ritter vor uns, die dieses Tor erreicht haben, werden auch wir an der Tafelrunde des Königs willkommen geheißen.
Hinter uns – etwa 50 Pfadfindern der Neu-Anspacher Turmfalken, gut erkennbar an den gelbblauen Rittergewändern – liegt eine weite Reise. Seit dem Vormittag sind wir unterwegs, nicht nur per Bahn und Bus von Neu-Anspach bis ins Brexbachtal in der Nähe von Koblenz, sondern auch durch die Zeit. Gestartet im Jahr 2009 befinden wir uns nun im tiefsten Mittelalter, genauer gesagt im Jahre des Herrn 1013, zur Zeit der Ritter der Tafelrunde, und freuen uns, endlich den Hof des König Artus erreicht zu haben. Und wir sind nicht die einzigen: Insgesamt 200 Pfadfinder aus den sieben Stämmen der Region Mitte der BPS sind hier zusammengekommen, um die nächsten neun Tage miteinander zu verbringen. Zunächst steht für alle aber der Aufbau an. Nach und nach füllt sich die Wiese mit Kothen und Jurten, werden Kochtische und Türme errichtet, bilden sich die ersten Trampelpfade. Vor unseren Augen entsteht so etwas wie ein kleines Dorf aus Schwarzzelten und Holzkonstruktionen und durch die farbenfrohen Rittergewänder, die in den jeweiligen Stammesfarben getragen werden, fällt es uns nicht schwer, ins Mittelalter einzutauchen.
Und schließlich ist der Moment gekommen: König Artus beruft seine Tafelrunde ein und seine zwölf Ritter mit ihrem Gefolge versammeln sich auf der großen Wiese vor der Lagerkapelle. Der König ist froh, dass Friede herrscht im Lande, doch Sir Lancelot drängt es nach neuen Abenteuern und so beschließen die Ritter gemeinsam, einen Feldzug gegen die Pikten im Norden zu starten und den überfällen auf die Grenze ein Ende zu bereiten. Wer mutig genug ist, kann sich für den Feldzug registrieren lassen – wenn er die nötige Ausrüstung besitzt. Woher aber das Gold nehmen für Pferde und Rüstung, für Zelte und Verpflegung? Zum Glück gibt es in Camelot genügend Möglichkeiten, an Gold zu kommen, und so ziehen bald die jungen Ritter in ihren Sippen umher, gehen bei Handwerkern und Künstlern gegen Bezahlung in die Lehre, treten in verschiedenen Wettkämpfen gegen andere Sippen an oder versuchen, ihr Gold im Glücksspiel zu vermehren. Und wer zu bescheidenem Reichtum gelangt ist, der sucht einen der zahlreichen Händler auf und hat die Qual der Wahl zwischen Heilkräutern, Waffen und Reliquien. Und dann ist da noch der Bettler, der diejenigen, die ihm helfen, mit Bruchstücken einer geheimnisvollen Karte belohnt.
Als sich schließlich alle wieder um den König versammeln, werden die Stücke zusammengesetzt und es wird klar: Die Karte führt zum Versteck des Heiligen Grals im fernen Corbenic. Alle sind sich mit Sir Percival einig, dass vor dem Feldzug zunächst der Gral gefunden werden muss. Leider kommt den Rittern Sir Mordred dazwischen, der die Karte stiehlt und den Heiligen Gral für sich haben will. Erst nach einem harten Kampf an der Burg Banbury können König Artus’ Anhänger die Karte zurückerobern und sich endlich nach Corbenic aufmachen.
Und so werden schon wieder die Rucksäcke geschultert. Sippenweise ziehen wir los, um über verschiedene Punkte, die nicht immer leicht zu finden sind, zum Ziel zu gelangen. Unterwegs haben wir nicht nur Gelegenheit, die wunderschöne Landschaft des Brexbachtals und seiner Umgebung zu erleben, sondern auch, die Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Leute in dieser Gegend zu erfahren. Nicht wenige Gruppen bekommen auf Bauerhöfen oder in Grillhütten ein Nachtquartier oder werden reich mit Süßigkeiten beschenkt, wenn sie an Haustüren klingeln um nach Wasser zu fragen. Auch das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite und lässt dieses Hajk für uns alle zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.
In Corbenic angekommen machen sich alle auf die Suche nach dem Gral, doch das Einzige, was die Ritter nach einigen Scharmützeln mit Mordreds Leuten finden, ist ein Mönch, der sich ganz in die Wälder zurückgezogen hat. Dieser offenbart dem König und seiner Gefolgschaft, dass es den Heiligen Gral nicht gibt. Anstatt nach einem solchen Wunderding zu suchen, sei es viel wichtiger, auf Gott zu vertrauen und ihm nachzufolgen. Um dieses Thema geht es auch das ganze Lager über in den Andachten und in den beiden Gottesdiensten: Was heißt es, ein Pfadi der Tafelrunde zu sein, also ein Leben mit Gott zu führen? Wie kann jeder einzelne ein Pfadi der Tafelrunde werden?
Die Tatsache, dass die Ritter vergeblich nach dem Heiligen Gral gesucht haben, sorgt in Camelot keinesfalls für schlechte Stimmung, schließlich bleibt auch nach der Suche noch genügend zu tun. In Workshops kann man die verschiedensten Dinge ausprobieren: mit Pfeil und Bogen schießen, Mosaike legen, Stühle fürs Lager bauen, Holzkästchen bemalen oder im Wald ein Biwak errichten. Und auch am Markttag herrscht im Lager buntes Treiben und während von der einen Seite der Duft von Pfannekuchen über den Platz zieht, werden anderswo die Leute durch Schokofondue angelockt. Am Abend der offenen Jurte ist Gelegenheit, andere Stämme zu besuchen, gemeinsam am Lagerfeuer zu singen und Erlebnisse auszutauschen.
Wieder einmal viel zu schnell findet das Lager schließlich sein Ende. Nach dem Abschlussgottesdienst werden auch die letzten Zelte abgebaut und wir versammeln uns zur großen Abschlussrunde, um das zweite Regionslager der Region Mitte mit dem traditionellen „Nehmt Abschied, Brüder“ zu beschließen. Hinter uns liegen zehn erlebnisreiche Tage, in denen jede Menge Abenteuer bestanden und neue Freundschaften geknüpft wurden. Auch das Wetter hat mitgespielt und uns – besonders verglichen mit dem Regionslager 2005 – viel Sonne beschert. Jetzt geht es für die Pfadis der Region wieder heimwärts, doch außer einigen Mückenstichen und Zeckenbissen nimmt jeder einzelne eine Menge Erfahrungen und Erlebnisse mit. Und schließlich haben wir auf dem Lager auch gelernt: Ein Pfadi der Tafelrunde können wir unser Leben lang sein – auch wenn das gleichnamige Lager schon hinter uns liegt. 

Ein Artikel von tiri